Voluntourismus: Über die Gefahren der Freiwilligenarbeit
Drei Wochen Thailand-Urlaub, wobei du eine Woche eine einheimische Schule besucht und den Kindern Englisch beibringst oder hilfst die Umwelt zu säubern. Die Kombination aus Urlaubsreise und Freiwilligenarbeit ist etwas Tolles und erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Sie kann dir trotz Urlaub das Gefühlt vermitteln, etwas Gutes bewirkt zu haben. Aber aufgepasst, wo und für wen du dich sozial engagierst. Der Ansturm der Freiwilligenhelfer hat ein lukratives Geschäftsfeld eröffnet, den Voluntourismus. Ein Geschäftsfeld, in dem Familien zerrissen und Einheimische ausgebeutet werden, nur um uns das Volunteering zu ermöglichen. Gutmütigkeit lässt sich gut ausnehmen. Oder denkst du tatsächlich, dass Kinder etwas lernen, wenn sie jede Woche jemand neuen, fremden und unausgebildeten als Englischlehrer*in haben?
Freiwilligenarbeit gibt Reisenden die Möglichkeit, andere Menschen in fremden Kulturen kennenzulernen und aktiv an ihrer Lebenswirklichkeit teilzuhaben. Menschen, die als Freiwillige für den Umweltschutz geholfen oder beim Wiederaufbau eines vom Tsunami zerstörten Dorfes mitgeholfen haben, kehren zumeist mit intensiven Erinnerungen von ihrer Reise zurück. Oft hat sich auch ihr Blick auf die Welt verändert. Sie erkennen ihre Privilegien und ändern oft ihr Kauf-, Konsum- oder Reiseverhalten oder ihre Lebensweise.
Urlaubsabenteuer inklusive des Gefühls, etwas Gutes zu tun
Neben gemeinnützigen Lern- und Austauschprogrammen, bieten immer mehr kommerzielle Reiseveranstalter das Mitwirken an humanitären, sozialen oder Umweltprojekten an. Sie bieten Urlaubsabenteuer inklusive des Gefühls, etwas Gutes zu tun. Die Projekte gibt es meist kompakt, als Gesamtpaket zu buchen. So kann man sie leicht im Anschluss an die zweiwöchige Safari-Reise anschließen. Von einem Tag, der einen spontan in ein Hilfsprojekt involviert, über eine Woche bis hin zu ein drei oder sechs Monaten ist alles dabei.
Das Angebot richtet sich nach den Wünschen der Kunden. Diese wollen während ihres Urlaubs natürlich möglichst viele Erlebnisse sammeln und nicht allzu lange an einem Ort verweilen. Darum wollen sich die meisten Reisenden nur kurzzeitig in einem sozialen Projekt engagieren. Dementsprechend kürzer werden auch die Mindestaufenthaltszeiten der Angebote der Reiseanbieter.
Wenn Waisenhäuser zu lukrativen Geschäft werden
Genau das kritisiert auch die Studie der Schweizer NGO Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung, in der 44 Freiwilligenangebote deutscher Reiseanbieter untersucht worden sind. Bedenklich sind auch die weit verbreiteten Angebote für Waisenhaus- und Kinderheimaufenthalte. Mit dem steigenden Interesse an Besuchen in Kinderheimen und Waisenhäusern, steigt auch die Nachfrage nach Waisen. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist Nepal.
Viele Medien und Hilfsorganisationen beziehen sich auf die Zahlen, dass zwei von drei Kindern in nepalesischen Waisenhäusern keine Vollwaisen sind. Sie haben immer mindestens noch einen lebenden Elternteil. Zwischenhändler entzweien Familien und berauben Eltern ihrer Kinder mit dem Versprechen, dass sie es im Waisenhaus besser haben werden und auf die Schule gehen können, wie die Nichtregierungsorganisation Next Generation Nepal herausfand.
Die Kinder werden entgegen der Versprechen in heruntergekommene Unterkünfte gebracht, wo Freiwilligenarbeiter für die Bildung und den Unterricht sorgen. Urlauber wie du und ich. Vielleicht bist du ausgebildete*r Pädagoge*in, Lehrer*in oder Erzieher*in. Ich jedenfalls nicht, ich habe nur was Wissen einer Handvoll Nachhilfestunden, die ich vor vier Jahren einmal gab.
Und selbst, wenn es mit rechten Dingen und wohlwollenden Absichten zuginge: Wie möchtest du den Kindern in einer Woche oder drei Monaten helfen? Sie brauchen eine feste Bezugsperson, die länger bleibt und nicht verschwindet, sobald der Urlaub vorbei ist. Studien zeigen, dass wechselnde Bezugspersonen in Waisenhäusern einen negativen Einfluss auf die Entwicklung der Kinder haben.
Freiwilligenhelfer ohne Qualifizierung
Außerdem benötigen Kinder langfristige Unterstützung von einer qualifizierten Person. Die meisten Voluntourismus-Angebote sind für die Masse ausgelegt, ein Mindestalter von 16 oder 18 Jahren und das nötige Kleingeld sind häufig die Mindestanforderungen.
Es gibt kaum Auswahlkriterien, keine spezifischen Vorerfahrungen werden erfragt und möglichst wenig Einarbeitungszeit. Das mag vielleicht für einen Beach-Cleen-Up reichen, doch nicht für die Zusammenarbeit mit Kindern. Auch die Zahl an sexuellen Übergriffen an Kindern im Zusammenhang mit Voluntourismus nimmt zu.
Der Freiwilligendienst als touristisches Produkt
Indem Voluntourismus den Freiwilligendienst zu einem touristischen Produkt macht, werden lokale, soziale Organisationen nicht nur zu Kooperations-, sondern zu Leistungspartnern wie Restaurants oder Hotels. Soziale Arbeit ist aber meistens schwer strategisch planbar. Sie fordert eine flexible Anpassung auf täglicher Basis, die so gar nicht möglich ist.
Zudem steigt die Konkurrenz auf dem neuen Markt, Reiseanbieter werben mit der Darstellung von Armut und Zerstörung und stellen Urlaubshelfer als Weltverbesserer dar. Damit fördern sie aber alte Rollenbilder und Klischees. Sie verzerren die Wirklichkeit, indem sie den zu bereisenden Ländern einen Stempel aufdrücken und Einheimische als passive Hilfsempfänger porträtieren. Der Anspruch des Helfers soll jedoch nicht aus dem Gefühl herauskommen, einmal das Leben in Armut authentisch erlebt zu haben.
Eine wirksamere Hilfe im Rahmen der Freiwilligenarbeit sind Freiwilligendienste mit längeren Aufenthalten von mindestens einem halben Jahr sowie eine sorgfältige Prüfung und Verbreitung der Helfer. Genau daran kannst du eine faire Freiwilligen-Organisation erkennen.
Daran erkennst du faire Voluntourismus-Anbieter
Projekte müssen auf dem richtigen Verständnis von den Menschen vor Ort und ihrer Lebenswirklichkeit aufgebaut werden, nicht auf Klischees und Annahmen. Je länger Projekte sind und je mehr die Kenntnisse der Freiwilligen, mit denen der Organisation zusammenpassen, desto wirkungsvoller können Aufenthalte gestaltet werden. Für komplexere Projekte oder der Arbeit mit (jungen) Menschen braucht es immer eine Einarbeitung und anfängliche Arbeitsbegleitung. Auch die Verantwortlichkeiten der Freiwilligen während ihrer Arbeit und ihre Rolle muss genau definiert werden.
Am besten wäre es natürlich, wenn du weißt, welche Organisation, in welcher Region du gerne unterstützen möchtest und dich gezielt mit ihr in Verbindung setzt und dir deine Freiwilligenarbeit selbst organisierst. Doch das ist nicht immer leicht und dazu musst du aktiv eine Hemmschwelle überwinden.
Darum gibt es Voluntourismus-Anbieter, bei denen jedoch entsprechende Vermittlungskosten anfallen. Seriöse Voluntourismus-Anbieter kannst du an einer starken Zusammenarbeit und Vernetzung mit lokalen Organisationen, längeren Aufenthaltszeiten und einem spezifischen Bewerbungsverfahren (das je nach Projekt spezielle Vorkenntnisse verlangt) erkennen. Außerdem sollten sie dir ausreichend Materialien zu den entsprechenden Projektdaten sowie konkreten Ansprechpartnern und einen persönlichen Kontakt zur Firma geben.
Recherche und ein offenes Ohr
Habe bei deiner Recherche auch immer ein Auge auf unabhängige Bewertungen von anderen Freiwilligen und hinterfrage das Marketing der Anbieter kritisch. Horche dich auch nicht nur online, sondern im Freundes- und Bekanntenkreis nach Erfahrungen um.
Leider wird der grundsätzlich positive Trend, etwas Gutes tun zu wollen, durch die Naivität vieler Konsumenten und das Streben nach Profit seitens der Tourismusindustrie zur Farce. Egal, ob langfristiger Freiwilligendienst, die Aushilfe bei einem eintägigen Gemeinschaftsgartenprojekt oder ein kurzer Voluntourismus-Trip: Sorge dich darum, die Interessen der Menschen und der Tiere sowie die Natur im zu bereisenden Land sollten dabei immer im Mittelpunkt stehen.
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